GUMPERTZ
Die Gumpertz' stammen aus dem
Rheinisch-Bergischen Raum.
Joseph Gumpertz wurde 1823 in Nümbrecht/Westerwald geboren. Er
heiratete am 6.
5. 1850 in Holten Esther Heymann. Ein anderer Gumpertz, Israel, der
auch in die
Heymann-Familie in Holten einheiratete, wurde 1828 in Deutz geboren. Ob
die
beiden Gumpertz' verwandt waren, lässt sich nicht nachweisen, ist
aber
wahrscheinlich.
Seit dieser Zeit wohnten
die Gumpertz' in Holten bei
Oberhausen, und auch ihre Nachkommen haben sich in diesem Raum
angesiedelt, so
in Sterkrade und in Ruhrort.
Joseph Gumpertz und Esther
geb. Heymann hatten zwei Söhne:
Gustav (* 17. 4. 1851 in Holten) und Siegesmund (* 4. 2. 1853 in
Holten),
außerdem hatte Frau Esther einen vorehelichen Sohn Daniel Heymann
(* 13. 12.
1846 in Holten), der leider schon früh verstarb.
Siegesmund Gumpertz war ein
Fell- und Lederwarewnhändler. Er
heiratete in erster Ehe Helene Schönfeld. Von ihr sind keine Daten
bekannt. Sie
stammte höchstwahrscheinlich aus dem Großraum Frankfurt,
denn der erste Sohn
Sally wurde am 6. 5. 1888 in Dörnigheim (Maintal) geboren,
während die übrigen
Kinder Hermann (* 13. 4. 1892), Erna (* 21. 9. 1895) in Holten zur Welt
kamen.
Nach dem Tode von Frau
Helene heiratete Siegesmund Gumpertz
in zweiter Ehe Bertha Sander (* 3. 10. 1867 in Breslau). Aus dieser Ehe
ging
der Sohn Julius (* 16. 10. 1901) hervor. Auch er wurde in Holten
geboren. Als
letztes Kind kam Helene zur Welt, von ihr ist kein Geburtsdatum
überliefert. Es
steht zu vermuten, dass sie den Namen der verstorbenen ersten Ehefrau
erhielt.
Sie wurde Leni gerufen. Sie wanderte rechtzeitig mit Ehemann und
Tochter nach
Australien aus.
Siegesmund Gumpertz und
Frau Bertha sind im Jahre 1935
während der NS-Zeit noch hochbetagt nach Holland ausgewandert oder
geflohen,
wahrscheinlich zu der Familie seines Sohnes Hermann. Beide kamen 1943
während
der deutschen Besatzung in das Lager Westerbork. Während Bertha
Gumpertz geb.
Sander dort am 1. 4. 1943 verstarb (Nr.
101 Standesamt Westerbork), wurde Siegesmund noch im Alter von neunzig
Jahren
ins Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo er am 20. 4. 1943
umgebracht
wurde.
Die beiden
Gumpertz-Söhne Sally und Hermann waren im I.
Weltkrieg Soldat, und Julius nahm 1920 als Freiwilliger am Kampf der
Reichswehrtruppen gegen die Rote Ruhrarmee teil und musste dabei am 2.
4. 1920
in Voerde sein junges Leben lassen.
Die Söhne Sally und
Hermann hatten später mit dem
"Hurra-Patriotismus" nichts mehr im Sinn, denn sie engagierten sich
in der SPD und im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.
Wie unzählige junge
Leute ihrer Generation mussten sich
Sally und Hermann Gumpertz nach Kriegsende im zivilen Leben wieder
zurechtfinden. Sally hatte vor dem Krieg
offenbar eine Ausbildung zum Bürokaufmann
genossen, denn in dem Adressbuch des Landkreises Leer von
1926 wird er
als Kaufmann in Westrhauderfehn geführt, und 1933 soll er laut
Mitteilung eines
entfernten Verwandten Prokurist bei Bamberg & Herz in Köln
gewesen sein.
Hermann Gumpertz hatte anscheinend in der Vorkriegszeit im Betrieb
seines Vaters
Erfahrungen im Produktenhandel gesammelt, denn eine Fell- und
Ledergroßhandlung, wie sie die beiden Gumpertz-Brüder damals
in Rhaudermoor
eröffneten, konnte man nicht ohne Sachkenntnis führen.
Warum ließen sich die beiden
Brüder ausgerechnet in dem weit
entfernten Rhaudermoor nieder?
Nach dem I. Weltkrieg war das heimische Ruhrgebiet für eine
Existenzgründung denkbar schlecht geeignet. Dort herrschte der
Ausnahmezustand,
und Teile der Reichswehr kämpften gegen die Rote Ruhrarmee. Eine
Aussicht auf
stabile Verhältnisse war nicht gegeben. Durch Bekanntschaft mit
Mitgliedern der
weitverzweigten Familie Meyer aus Sögel, die Verwandte in Ruhrort,
Duisburg und
Wesel hatten, lernte Hermann Gumpertz seine Braut Adele kennen. Sie
brachte ihn
wahrscheinlich zu ihrem Onkel, dem Viehhändler Samuel de Levie aus
Rhaudermoor.
Der war unverheiratet und wahrscheinlich auch kränklich und bot
dem jungen Paar
sicherlich an, zu ihm nach Rhaudermoor zu kommen und seinen Betrieb zu
übernehmen.
Sally und Hermann Gumpertz
müssen schon kurz nach Ende des
Krieges dorthin gezogen sein, denn als Hermann am 17. 11. 1919 in
Sögel Adele
Meyer (* 21. 2. 1897 in Sögel) heiratete, hatte er seinen Wohnsitz
bereits in
Rhaudermoor. Leider sind die Einwohnermeldeverzeichnisse von
Westrhauderfehn
und Rhaudermoor nicht komplett erhalten, so dass der genaue Zeitpunkt
ihres
Zuzugs nicht mehr festzustellen ist. Fest steht jedenfalls, dass Sally
in
Westrhauderfehn wohnte und nicht in Rhaudermoor, denn er meldete sich
am 23. 5.
1921 dort ab nach Essen / Schornstraße. Zu diesem Zeitpunkt war
er noch ledig.
Mittlerweile hatten sich
die Verhältnisse im
linksrheinischen Raum und im Ruhrgebiet normalisiert, und Sally
versuchte, in
seiner Heimat beruflich Fuß zu fassen, denn der Betrieb in
Rhaudermoor erschien
wohl nicht geeignet, zwei Familien und dem ledigen Onkel Samuel de
Levie ein
angemessenes Auskommen zu sichern.
Am 15. 5. 1922 heiratete
Sally in Sögel Frauke Meyer (* 15.
5. 1885 in Westrhauderfehn). Sie war die ältere Schwester seiner
Schwägerin
Adele. Das junge Paar muss zuerst in Sterkrade gewohnt haben, denn von
dort
kommend meldete Sally sich am 22. 3. 1923 wieder in Westrhauderfehn an.
Im Jahre 1923 besetzten
französische Truppen wegen
ausbleibender Reparationszahlungen der deutschen Regierung das
Ruhrgebiet. An
geordnete wirtschaftliche Abläufe war dort jetzt nicht mehr zu
denken. Außerdem begann 1923 auch die "Inflationszeit", die
Kaufkraft der Reichsmark schwand von Tag zu Tag, gegen Ende des Jahres
sogar
von Stunde zu Stunde. Im November 1923 benötigte man 1 Billion
Reichsmark, um
ein Brot zu kaufen. Wer vom Lohn oder Gehalt leben musste, konnte bald
seine
Familie nicht mehr ernähren; gefragt waren Sachwerte oder stabile
ausländische
Währung. Der Tauschhandel wurde zum bestimmenden Faktor in der
Wirtschaft.
Für Sally Gumpertz war
es jetzt attraktiv, erneut nach
Ostfriesland zu ziehen und in den Fell- und Ledergroßhandel
seines Bruders
Hermann einzusteigen. Nachdem er bei Coob Schoemaker in der 1.
Südwieke eine
Wohnung gefunden hatte, kam auch seine Frau dorthin. Sie hatte sich
zwischenzeitlich bei ihren Eltern in Sögel aufgehalten und meldete
sich am 14. 6. 1923 unter dem Namen Frieda in
Westrhauderfehn an. Dies geschah wohl in Anlehnung an ihre
Großmutter, Frouke
de Levie geborene Cohen, nach der sie benannt worden war und die im
Familienkreis auch "Fredle" gerufen wurde.
Am 18. 4. 1924 stellte sich
Nachwuchs ein. Im jüdischen
Gemeindezentrum in der Klosterstraße 81/82 zu Münster kam
Tochter Ruth zur Welt
und wurde unter der Nummer 735/1924 beim Standesamt Münster
registriert. Da
Frau Frieda schon Ende dreißig war, als sie ihr erstes Kind zur
Welt brachte,
hatte sie es vorgezogen, sich zur Entbindung in die Hände von
Fachkräften zu
begeben. Die glücklichen Eltern konnten ihre Tochter bald mit nach
Hause nehmen
und meldeten sie am 1. 5. 1924 auf dem Einwohnermeldeamt in
Westrhauderfehn an.
Die Firma Hermann Gumpertz
& Co., wie sie im Adressbuch
des Landkreises Leer von 1926 genannt wird, betrieb im Inflationsjahr
1923
einen weitverzweigten Tauschhandel. Es wurde nicht nur mit Fellen,
Häuten und
Wildwaren, Kaninchen und Eiern gehandelt, sondern auch mit Altpapier,
wie in
Anzeigen der damaligen Tageszeitungen zu lesen ist. Hermann Gumpertz
bot dabei
seinen Lieferanten "wertbeständige Zahlung" oder Tauschhandel an.
Die
Geschäftsbeziehungen reichten von Ostfriesland über den Raum
Friesoythe bis
nach Hamburg und Tönning in Schleswig-Holstein.
Während dieser Zeit
muss sich der Betrieb zu einem
Unternehmen mit mehreren Angestellten entwickelt haben. Bernhard
Brinkmann aus
Rhaudermoor, der später ein
Gemischtwarengeschäft gegenüber der Vereinswieke führte,
absolvierte bei
Gumpertz seine Ausbildung. Er berichtete, dass die Felle
überwiegend bei
Schlachtern in der Umgebung aufgekauft und von dem damaligen Spediteur
Johann
Plümer mit Pferd und Wagen abgeholt wurden. Gelagert wurden sie in
einem
Schuppen neben dem Hinterhaus, mit reichlich viel Geruch und etlichen
Ratten,
bis die Menge ausreichte, um einen Waggon von der Kleinbahn
Ihrhove-Westrhauderfehn damit zu bestücken. Die Abnehmer waren
meistens
Gerbereien, von denen Gumpertz' dann oft wieder Leder bezogen, das im
Vorderhaus an Sattler und Schuster verkauft wurde. Das Zubehör
für ihre Werkstatt
konnten diese Handwerker hier auch gleich erwerben.
Neben der
regelmäßigen Belieferung durch die hiesigen
Schlachter füllte die Firma ihren Vorrat auch mit einzelnen Fellen
auf, die von
Privatleuten gebracht wurden. Hildegard Albert aus der
Dr.-Leewog-Straße
erinnert sich, dass Hermann Gumpertz ihr einmal ein Kaninchenfell
für 25
Pfenning abkaufte.
Neben dem Lehrling Bernhard
Brinkmann wurde auch noch der
Lehrling Adolf Voskamp ausgebildet. Conny Jacobs war als Reisender
für die
Firma Gumpertz & Co. tätig, und dann gab es dort auch noch
einen Herrn
Woltermann. Im Büro wurde ein Buchhalter beschäftigt; Anfang
der dreißiger
Jahre war das Hermann Meyer aus Holte, vorher soll Anton Heger aus
Collinghorst
dort gearbeitet haben. Während der Aufbauphase um 1920 hat
sicherlich auch der
Onkel Samuel de Levie noch sein Know-How und seine Handelsbeziehungen
zu den
Schlachtern und Landwirten mit in die Firma eingebracht, denn der
Übergang vom
Viehhandel zum Fell- und Ledergroßhandel vollzog sich
wahrscheinlich gleitend.
Bis zum 4. 3. 1921 war jedenfalls noch der Vetter seiner Frau Adele,
der
Schlachter Gottfried Müller aus Emden, im Hause Gumpertz wohnhaft
und im
Betrieb tätig, ebenso wie Max Meyer, Frau Adeles Bruder aus
Sögel.
Am 31. 8. 1924 starb Samuel
de Levie nach längerer
Krankheit. Mit einer Todesanzeige im Generalanzeiger lud Hermann
Gumpertz in
Namen der Familienangehörigen zur Beerdigung am 3. September vom
Trauerhause in
der Rhauderwieke aus nach Leer ein. Wie Günter Graepel berichtete,
begleiteten die
Trauergäste den Sarg in der Regel mit der Kleinbahn zum
jüdischen Friedhof nach
Leer am Schleusenweg.
In den Jahren
1925/26 muss die Firma Hermann Gumpertz &
Co. in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sein. Ein drohender Konkurs
wurde aber
glücklicherweise durch ein Geschäftsaufsichtsverfahren
über das Vermögen der
Firma sowie über das persönliche Vermögen der beiden
Inhaber Sally Gumpertz und
Hermann Gumpertz abgewendet. Ein solches
Geschäftsaufsichtsverfahren wurde zu
Beginn des I. Weltkriegs geschaffen zum Schutze der Kriegsteilnehmer.
Es
entsprach unserem heutigen Vergleichsverfahren. Unter diese Regelung
fielen
auch Hermann und Sally Gumpertz, weil sie beide Weltkriegsteilnehmer
gewesen
waren. Zufolge des Öffentlichen Anzeigers zum Amtsblatt der
Regierung Aurich
vom 17. Juli 1926 wurde durch Annahme des Vergleichs am 3. Juni 1926
die
Geschäftsaufsicht vom Amtsgericht Leer am 30. Juni 1926
aufgehoben. Die Firma,
die die Erwerbsgrundlage für die Familien der beiden
Gumpertz-Brüder und
mehrerer Angestellten bildete, war noch einmal gerettet.
Hermann Gumpertz und Adele
geb. Meyer hatten drei Kinder,
die alle in Rhaudermoor geboren wurden: Helene (* 1. 10. 1920) wurde
nach
Hermann Gumpertz' Mutter Helene Gumpertz geb. Schönfeld benannt
und Beate (*
28. 7. 1925) offensichtlich nach Frau Adeles Mutter Betje oder Bertha
Meyer
geb. de Levie in Sögel. Am 12. 1. 1931 wurde Sohn Manfred geboren,
doch er
verstarb schon nach knapp zwei Monaten am 5. 3. 1931 in Rhaudermoor. Er
ist
wahrscheinlich auch auf dem Friedhof in Leer am Schleusenweg beerdigt
worden,
doch die Grabsteine der Kindergräber dort sind in der NS-Zeit alle
unleserlich
gemacht worden, so dass man sie heute nicht mehr zuordnen kann.
Solange die beiden
Töchter noch klein waren, wurden sie von
Gretchen Kuipers (später: verheiratete Deters) aus der
Jürgenaswieke betreut.
Sie war etliche Jahre als Kindermädchen im Hause Gumpertz und
lernte auch viele
Verwandte der Familie kennen. In Emden wohnte Hermann und Sallys
Schwester
Erna. Sie hatte sich Anfang der zwanziger Jahre mit Adeles Vetter
Gottfried
Müller verheiratet; ihr Sohn Paul kam am 24. 2. 1927 in Emden zur
Welt. Einmal
war Gretchen mit zu einer Hochzeit bei der Familie Meyer in Sögel,
eine ganze
Woche lang wurde damals gefeiert, und für jeden Tag gab es
besondere
Essensvorschriften.
Am 20. 4. 1927 wurde Helene
Gumpertz unter der Nr. 329 des
Schülerverzeichnisses in die Volksschule Rhauderwieke aufgenommen.
Dort steht
auch vermerkt, dass sie am 27. 12. 1922 gegen Pocken geimpft wurde.
Beate
Gumpertz wurde Ostern 1932 unter Nr. 441 des Schülerverzeichnisses
auch dort
eingeschult. Als Geburtsort ist bei beiden Rhauderwieke eingetragen,
was darauf
hinweist, dass die Einwohner der Rhauderwieke es geflissentlich
vermieden, als
Einwohner von Rhaudermoor zu gelten. Der Beruf des Vaters Hermann
Gumpertz ist
in beiden Fällen mit Kaufmann angegeben.
Leni und Ati - so wurden
sie gerufen - hatten viele
Spielkameraden in der Nachbarschaft und auch in der Schule. Johann
Korrelvink,
der bis 1927 im Haus nebenan wohnte, ging als kleiner Junge bei der
Familie
Gumpertz ein und aus. Korrelvinks sprachen zu Hause plattdeutsch, in
Lenis und
Atis Elternhaus wurde hingegen hochdeutsch gesprochen. Er erinnert
sich, dass
er einmal beim Spielen neben Gumpertz~~' Haus von einer Versandkiste
fiel genau
auf ein Brett mit einem rostigen Nagel, der sich in seine Stirn bohrte.
Sally
Gumpertz trug ihn daraufhin eilig auf dem Arm zur Praxis des
Sanitätsrates Dr.
Trepte auf der gegenüberliegenden Kanalseite.
Besonders beliebt waren die
Kindergeburtstage im Hause
Gumpertz, denn Mutter Adele verstand es, daraus jedesmal ein besonders
festliches Ereignis zu machen. Es gab eine richtige Geburtstagstorte
mit
Kerzen, was auf dem Fehn in jenen Jahren noch nicht üblich war.
Noch heute kann
man beim Betrachten etlicher Fotos die fröhliche, unbeschwerte
Stimmung
nachempfinden, die damals Dini Janssen, Ohlrich Dupr~ee, Johanne Falk,
Berta
und Lisa Witzack, Frieda Junior oder auch Sarene und Gerda Neemann
sowie
Ingeborg Kallhoff dort mit Leni und Ati zusammen verbreitet und
genossen haben.
Aus ihrer
rheinländischen Heimat waren Sally und Hermann
Gumpertz es wahrscheinlich gewohnt, sich auch gesellschaftlich zu
engagieren.
In Westrhauderfehn gab es den traditionellen Turnverein "TuRa 07",
der viele prominente Fehntjer Mitglieder hatte. Die Turnerinnen und
Turner,
besonders die Ahlers' und Tautes, konnten sogar auf überregionaler
Ebene
Erfolge vorweisen. Auch Leni und Ati Gumpertz waren begeisterte
Turnerinnen.
Therese Luikenga geborene Schulna gehörte damals der gleichen
Turngruppe an.
Sie erinnert sich, dass Leni eines Tages ihre wunderschöne
Haarspange verloren
hatte und alle Turnerinnen sie gemeinsam wiedersuchten. Auf dem
Erinnerungsfoto
zum Abschluß des Vereinsturnfestes im Jahre 1932 anlässlich
des 25jährigen
Bestehens des Turnvereins können wir Leni Gumpertz in der dritten
Reihe von
unten inmitten ihrer Turngruppe entdecken. Laut Johannes Lücht
stand sogar ein
Barren neben Gumpertz' Haus.
Maßgeblichen Anteil
hatten die Brüder Gumpertz am Kauf,
Transport und Aufbau der Baracke aus Sedelsberg, die auf dem Fehntjer
Marktplatz als Turnhalle hergerichtet wurde und noch heute diese
Aufgabe
erfüllt.
Nach dem I. Weltkrieg war
das Fußballspiel in Deutschland
populär geworden. Auch auf dem Fehn fanden sich junge Männer
zusammen und
gründeten unter Vorsitz von Sally Gumpertz den FC Preußen,
der bald in
Sportvereinigung umbenannt wurde. Schwerpunkte der Vereinsarbeit waren
Fußball,
Handball und Leichtathletik. Die Gebrüder Gumpertz gehörten
bald zu den
eifrigsten Förderern und ehrenamtlichen Helfern. Sie
übernahmen zum Beispiel
das Amt des Schiedsrichters und Betreuers. Hermann Gumpertz trainierte
eine
Zeitlang die Fußball-Herrenmannschaft.
Im Protokollbuch des
Vereins ist zu lesen, dass Sally
Gumpertz in den Jahren 1924 und 1925 große
Jugendleichtathletikwettkämpfe
organisierte, an denen sich fast alle Schulen des westlichen
Overledingerlandes
beteiligten. Fast 800 erwachsene Zuschauer sollen auf dem Sportplatz
die
Wettkämpfe verfolgt haben. Die Schulräte Kunze aus Leer und
Dr. Zeplien aus
Weener nahmen höchstpersönlich die Siegerehrung vor und
lobten seinen
hervorragenden Einsatz. In Leer nahm Sally mit weiteren
Vereinsmitgliedern 1925
auch selbst an einem Leichtathletikwettkampf teil, wobei er mit 8,26 m
den
dritten Platz im Kugelstoßen belegte und an dem zweiten Platz der
100-Meter-Staffel sicher auch einen Anteil hatte.
Um die großen
Unkosten decken zu können, die durch den Kauf
und die Herrichtung der Turnhalle entstanden waren, gab der Verein TuRa
07 im
Jahre 1929 Aktien zu 50 RM heraus, die mit 4% verzinst und später
nach und nach
wieder eingelöst werden sollten. Hermann Gumpertz erwarb auch
einen solchen
Anteilschein. Durch die Weltwirtschaftskrise waren die Finanzplanungen
des
Vereins aber zum Scheitern verurteilt. Denn als der Landkreis Leer im
Jahre
1936 - als Hermann Gumpertz mit seiner Familie schon längst nach
Holland
geflohen war - dessen Aktie an TuRa 07 zurückverkaufen wollte und
am 21. 1.
1936 sogar einen Pfändungsbeschluss gegen den Verein erwirkte, um
auf diese
Weise eine noch offene Gumpertzsche
Krankenhausrechnung zu begleichen, war der Verein total
überschuldet und
zahlungsunfähig. Fast alle Eigner von Anteilscheinen hatten diese
zwischenzeitlich schon ohne Gegenleistung zurückgegeben und auch
auf die
Rendite zugunsten des Vereins verzichtet. Da auch Hermann Gumpertz auf
dieser
illustren Liste der Fehntjer Prominenz aufgeführt war, aber nicht
mehr
verzichten konnte, weil er schon im Ausland war, kann man davon
ausgehen, dass
seine Familie zu den "oberen Zehntausend" gerechnet wurde.
Es gab allerdings einen
entscheidenden Unterschied zwischen
den Gumpertz' und den übrigen prominenten Fehntjer Familien bei
ihrem
politischen Engagement. Während die bürgerlichen und
intellektuellen Kreise auf
dem Fehn eher konservativ waren, gehörten die Gumpertz-Brüder
zur SPD und zum
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold,
der "Kampforganisation" der Sozialdemokraten in der Weimarer Zeit.
Sie waren nicht nur einfache Mitglieder, sondern arbeiteten aktiv im
Vorstand
und als Deligierte mit. Dieses Engagement resultiert wahrscheinlich zum
einen
aus der Tatsache, dass die Gumpertz 'aus einem
großstädtischen Umfeld kamen,
und es in den goldenen zwanziger Jahren dort unter jungen Leuten als
schick
galt, "links" zu sein. Weit gewichtiger ist aber zum andern
sicherlich die Erkenntnis gewesen, dass im "Ernstfall" nur die
liberalen und demokratischen Parteien wie die Deutsche Demokratische
Partei,
die Deutsche Volkspartei und eben die SPD bereit sein würden,
für die
parlamentarische Demokratie und damit für die Minderheitenrechte
einzutreten.
Die historische Entwicklung ab 1930 hat ihnen leider recht gegeben.
Wie Frank Groeneveld im
Jahre 1996 in seiner Chronik
anlässlich des 50jährigen Jubiläums der SPD-Ortsvereine
Ostrhauderfehn und
Idafehn berichtet, vertrat Hermann Gumpertz zusammen mit dem
Deligierten
Noormann die Kreisverbände Leer und Weener bei einer
überregionalen
SPD-Konferenz am 11. Dezember 1931. Weiter kann man lesen, daß
Genosse Gumpertz
einen Pfingstausflug nach Klosterbusch organisierte. Der hat wohl
hauptsächlich
den Kindern gut gefallen, denn Rosa Schilling geborene Klock konnte
sich noch
gut daran erinnern.
Auch
Gendarmerie-Wachtmeister Tielker aus Collinghorst
schrieb im Sommer 1934 in seinem Bericht an den Landkreis Leer, dass
Hermann
Gumpertz Mitglied des Reichsbanner war und die SPD auch geldlich
unterstützte.
Die "früheren SPD-Führer von Westrhauderfehn" sollen sogar
alle
Maßnahmen mit ihm besprochen haben. Davon berichtet auch Johannes
Lücht, dessen
Vater damals Reichsbanner-Vorsitzender in Westrhauderfehn war.
Sally Gumpertz war 1.
Schriftführer in der Westrhauderfehner
Ortsgruppe des Reichsbanner. Als er am 29. 4. 1928 mit Frau Frieda und
Tochter
Ruth Westrhauderfehn verließ und nach München zog, wurde er
von einer Abordnung
der Ortsgruppe am Bahnhof in Westrhauderfehn verabschiedet. Der
Volksbote, das
hiesige Wochenblatt der SPD, berichtete darüber am 8. Mai 1928 und
bedauerte,
dass die Ortsgruppe durch den Fortzug des Kameraden Gumpertz einen
zielbewußten
und allzeit bereiten Mitarbeiter verlöre.
Warum Sally Gumpertz sich
am 27. 4. 1928 mit seiner Familie
beim Einwohnermeldeamt in Westrhauderfehn mit neuem Wohnort
München abmeldete,
wissen wir nicht. Dass die Firma Hermann Gumpertz & Co. kein
Betrieb mit
großen Gewinnspannen war, lässt sich schon an dem
Vergleichsverfahren 1926
ablesen. Vielleicht wurde Sally damals ein guter Arbeitsplatz in seiner
Branche
angeboten, denn in den Jahren 1925 bis 1928, während der
"Stresemann-Ära", gab es infolge des Dawesplans einen bescheidenen
wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland, der die Menschen wieder
hoffnungsvoll in die Zukunft blicken ließ. Die
Weltwirtschaftskrise von 1929
machte dann aber alle Zukunftsträume wieder zunichte.
Von Sally
und seiner
Familie erfahren wir danach kaum noch etwas.
1933 soll er Prokurist bei der Firma Bamberg
& Herz in
Köln gewesen sein. Das letzte Lebenszeichen gibt es von
Frieda/Frauke Gumpertz
geb. Meyer vom 23. 12. 1938, denn an dem Tag hat sie eine
Erklärung
unterschrieben, dass sie ab 1. Januar 1939 den zusätzlichen
Vornamen Sara
führen muss gemäß § 2 der 2. Verordnung zur
Durchführung des Gesetzes über die
Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938. Dies
ist neben
ihrem Geburtseintrag im Geburtsregister des Standesamtes
Westrhauderfehn
vermerkt. Dieser Vermerk wurde dann nach der NS-Zeit laut Verordnung
vom 16. 2.
1948 am 17. 8. 1959 wieder gelöscht.
Um die Jahreswende 1938/39
lebte Sally Gumpertz mit seiner
Familie demnach noch in Deutschland.
Bei der Firma Hermann
Gumpertz & Co. hat sich die Weltwirtschaftskrise
sicherlich auch auf die Bilanzen ausgewirkt, denn es gab ab 1929 von
Jahr zu
Jahr mehr Arbeitslose und damit schwindende Kaufkraft bei den kleinen
Leuten
und beim Mittelstand. Kaum jemand konnte sich noch einen Pelzmantel
oder
modische Lederstiefel leisten; andererseits hatten die Flickschuster
viel zu
tun, so dass der Ledergroßhandel durchaus noch
Absatzmöglichkeiten hatte.
Jedenfalls war die Firma Hermann Gumpertz & Co. 1933/34, als die
Familie
sich nach Holland absetzte, durchaus noch ein solventes Unternehmen,
obwohl die
damit befassten Behörden und Parteistellen damals verbreiten
ließen, Hermann
Gumpertz habe einen völlig maroden Betrieb hinterlassen und sich
ins Ausland
davongemacht, damit er wegen seiner Schulden nicht zu belangen sei. Da
er sich
gegen diese Verleumdungen nicht mehr wehren konnte, hat sich sein Image
als
Schuldenmacher bis heute hartnäckig in den Köpfen vieler
Fehntjer gehalten.
Was Hermann Gumpertz bewog,
mit seiner Familie Deutschland
zu verlassen, waren nicht seine Schulden, sondern die politischen
Verhältnisse.
Am 30. Januar 1933 war Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden.
Schon
gleich im Februar 1933, nach dem Reichstagsbrand, gab es nach
vorbereiteten
Listen die ersten großen Verhaftungswellen unter den politischen
Gegnern. Damit
sie nicht durch eine Flucht ins Ausland der Verfolgung entkommen
konnten,
entzog man ihnen von Amts wegen die Reisepässe.
Als Hitler dann durch das
Ermächtigungsgesetz vom 23. 3.
1933 befugt war, ohne den Reichstag zu regieren, wurde die
"Gleichschaltung" in Angriff genommen: Juden und missliebige Personen
wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt, KPD, SPD und
Gewerkschaften wurden
verboten und ihr Vermögen beschlagnahmt, alle übrigen
Parteien, Verbände und
Jugendgruppen lösten sich im Laufe des Jahres 1933 selbst auf oder
wurden
verboten, nur die Organisationen der NSDAP blieben übrig.
Arbeitnehmer und
Arbeitgeber wurden in der Deutschen Arbeitsfront zusammengefasst, Juden
konnten
nicht Mitglieder werden. Künstler und Intellektuelle mussten in
die
Reichsschrifttumskammer eintreten, auch hier war kein Platz für
Juden. Die
Medien wurden zensiert und ganz in den Dienst der neuen Machthaber
gestellt, es
wurde eigens ein Propagandaministerium dafür geschaffen.
Auch hier in Ostfriesland
gab es bald die ersten Opfer der
NS-Regierung: Prominente SPD-Lokalpolitiker wie Wilhelmine Siefkes und
Louis
Thelemann aus Leer, sowie Hermann Saul aus Heisfelde wurden aus dem
öffentlichen Dienst entlassen, andere wie Ippe Oltmanns aus Bunde,
Karl Mohrmann
aus Rajen und Friedrich Geerdes aus Leer wurden strafversetzt. Der
SPD-Reichstagsabgeordneter Hermann Tempel aus Leer und der Herausgeber
des
Volksboten, Hans Mozer aus Emden, flohen nach Holland, weil sie per
Haftbefehl
gesucht wurden. Selbst in Holterfehn und Idafehn gab es nachts Razzien
bei
KPD-Mitgliedern.
Da Hermann Gumpertz schon
jahrelang zur Lokalprominenz der
SPD und des Reichsbanner "Schwarz-Rot-Gold" gehört hatte und
außerdem
noch Jude war, schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis man
ihn auch
"abholte". Seinen gültigen Reisepaß, der ihm 1930 vom
Landkreis Leer
ausgestellt worden war, hatte der Gendarmerie-Wachtmeister Tielker aus
Collinghorst ihm schon abgenommen. Dass er damals die politische
Entwicklung
klar erkannte, bestätigt auch Johann Korrelvink. Er erinnert sich,
dass sein
Vater im Sommer 1933 nach einem Besuch bei seinem ehemaligen Nachbarn
Gumpertz
sich dahingehend äußerte.
Ob am 1. April 1933
anlässlich der Boykottmaßnahmen gegen
jüdische Geschäfte in ganz Deutschland auch vor Gumpertz'
Haus in der
Rhauderwieke SA-Posten aufmarschierten, um etwaige Käufer
abzuschrecken, ist
nicht überliefert. Tatsache ist jedoch, dass sich seine
Skatfreunde ziemlich
bald von ihm abwandten und auch die Mitglieder des Sportvereins sich
unter
irgendwelchen Vorwänden nach und nach zurückzogen.
Offensichtlich ist
jedenfalls, dass die Familie Gumpertz
gegen Ende des Jahres 1933 nicht mehr darauf hoffen konnte, dass sich
die
politischen Verhältnisse in Deutschland bald wieder ändern
würden. Sie zog die
Konsequenzen und wagte einen Neuanfang im Nachbarland Holland.
Wann genau die Familie
Gumpertz die Grenze nach Holland
überschritt, lässt sich
nicht mehr
nachvollziehen, da sie sich beim Einwohnermeldeamt in Rhaudermoor aus
verständlichen Gründen nicht abgemeldet hat. Auch hatte
Hermann Gumpertz seine
geschäftlichen Belange nicht geregelt, aus diesem Grunde blieben
einige
Außenstände offen und mehrere Rechnungen unbezahlt. Es ist
auch nicht mehr
festzustellen, ob er zunächst allein ins Nachbarland wechselte,
während seine
Familie sich noch bei Verwandten aufhielt, bis er für einen
dauerhaften
Aufenthalt dort die nötigen Vorbereitungen getroffen hatte.
Fest steht jedenfalls, dass
die beiden Töchter in der Schule
Rhauderwieke ordnungsgemäß abgemeldet wurden, und zwar
Helene am 3. Februar
1934 nach Sögel und Beate am 8. 2. 1934 nach Petershagen. So kann
man es im
Schülerverzeichnis unter "Bemerkungen" lesen. Ob sie dann in den
angegebenen Schulen auch wirklich angemeldet wurden, wissen wir nicht.
Dies könnte aber auch darauf hindeuten,
dass das Ehepaar
Gumpertz die Kinder vorerst bei Verwandten unterbrachte und allein den
Grundstein für einen Neuanfang in Holland gelegt hat.
Etwa Mitte Februar 1934
muss Hermann Gumpertz sich in
Amsterdam angemeldet haben, denn schon mit Datum vom 20. Februar 1934
fragte
die Fremdenpolizei in Amsterdam, Het Hoofdbureau van Politie,
routinemäßig bei
der Polizeiverwaltung in Leer nach einem Führungszeugnis, auch in
politischer
Hinsicht, des Hermann Gumpertz.
Die parteilich
ausgerichteten Behörden beim Landkreis Leer
wurden hellhörig, als sie merkten, dass er ihrem Zugriff entwischt
war und
berichteten nach Amsterdam, dass er Schulden hinterlassen und
Urkundenfälschung
begangen habe und außerdem ohne gültige Papiere die Grenze
überschritten habe.
Daraufhin erwog die niederländische Fremdenpolizei schon, ihn nach
Deutschland
"zurückzuschieben". Bevor sie
sich allerdings zu einem so folgenschweren Schritt entschloss, bat sie
die
Behöden des Landkreises Leer noch einmal um eine detaillierte
Auskunft, denn
Hermann Gumpertz hatte zwischenzeitlich erklärt, dass er ein
politischer
Flüchtling sei und dass seine Verwandten in Deutschland seine
Schulden wohl
begleichen könnten. Als Referenzen für seine
Rechtschaffenheit gab er den
Schuhmacher Folli Kirchhoff in der Rhauderwieke und den
Viehhändler Alfred
Weinberg in Westrhauderfehn an.
Diese gezielte Anfrage der
Fremdenpolizei in Amsterdam löste
bei den verschiedenen Dienststellen in Leer und Aurich einen
umfangreichen Schriftverkehr
aus, der sich bis zum Juni 1935 hinzog. Nachdem die Amsterdamer
Fremdenpolizei
allerdings von der Stellungnahme des Collinghorster Landgendarmen
Tielker vom
18./25. 7. 1934 erfahren hatte, nahm sie von einer Ausweisung des
Hermann
Gumpertz nach Deutschland Abstand. Tielker hatte zwar auch von Schulden
bei
drei Firmen, bei der Gemeinde Rhaudermoor und bei seinem Buchhalter
Meyer aus
Holte berichtet, da diese aber nicht so hoch beziffert waren und durch
einen
vollstreckbaren Titel mit den noch laufenden Mieteinnahmen verrechnet
werden
konnten, ging man in Amsterdam anscheinend nicht von
betrügerischen Absichten
aus. Den Ausschlag gab mit Sicherheit die detaillierte Auskunft des
Gendarmen
über die exponierte Stellung des Hermann Gumpertz in der SPD und
im
Reichsbanner "Schwarz-Rot-Gold" auf lokaler Ebene.
Da nunmehr der Landkreis
Leer es im Laufe des Sommers 1934
für immer unwahrscheinlicher hielt, dass eine Ausweisung von
Hermann Gumpertz
aus Holland noch erfolgen würde,
veranlasste Landrat Hermann Conring mit einem Schreiben vom 17. 8. 1934
Gumpertz' ehemalige Hausbank, die Gewerbe- und Handelsbank in
Westrhauderfehn,
ihn wegen Betrugs anzuzeigen. Die Bank hatte zwar bisher gar kein
Interesse
gehabt, sich noch mit den Schulden des geflohenen Geschäftsmannes
auseinanderzusetzen, hielt es jedoch nicht für ratsam, sich mit
den
"gleichgeschalteten" Behörden anzulegen. Am 1. Oktober erstattete
sie
Anzeige, und die Staatsanwaltschaft Aurich nahm die Ermittlungen auf,
allerdings nur halbherzig. Der Oberstaatsanwalt teilte dem Lankreis
Leer am 26.
Januar 1935 mit, dass er beim Amtsgericht Leer einen Haftbefehl gegen
Hermann
Gumpertz beantragt hätte wegen Betrugs und schwerer
Urkundenfälschung, dass er
es aber ablehne, einen Auslieferungsantrag zu stellen, worauf die
Behörden in
Leer gedrängt hatten.
Als nun keine Aussicht mehr
bestand, seiner habhaft zu
werden, stellte der Landrat in Leer am 20. III. 1935 beim
Regierungspräsidenten
in Aurich den Antrag, dem Hermann Gumpertz die deutsche
Staatsangehörigkeit
abzuerkennen, wie es nach einem Gesetz vom 14. Juli 1933 möglich
war und
seitdem bei etlichen prominenten politischen Flüchtlingen
praktiziert worden
war. In einem solchen Fall konnte man den gesamten inländischen
Besitz
konfiszieren. Den Zwangsversteigerungsvermerk des Gumpertzschen
Anwesens in
Rhaudermoor hatte man vorsorglich schon am 17. Dezember 1934 ins
Grundbuch
eintragen lassen und den Termin am 12. Februar 1935 im Auricher
Amtsblatt
veröffentlicht. In Aurich vermerkte ein linientreuer
Sachbearbeiter
handschriftlich auf dem Antrag des Landrats Conring: "Ich bemerke,
daß der
Jude Gumpertz wie üblich als politischer Flüchtling auftritt,
während er
nachweislich ein ganz gemeiner Verbrecher ist. Sollte man solche
Fälle nicht
propagandistisch ausnutzen?"
Damit waren die
Möglichkeiten des Landkreises Leer
erschöpft. Hermann Gumpertz konnte in Holland bleiben. Da er schon
sehr
frühzeitig ins Nachbarland hinüberwechselte, war es ihm
sicherlich möglich,
dort für sich und seine Familie eine Existenz aufbauen. Im Jahre
1935 holte er
auch noch seinen alten Vater Siegesmund und seine Stiefmutter Bertha
aus Holten
zu sich nach Holland, auch sie sind im Deportationslager Westerbork
registriert
worden.
Nach der Besetzung Hollands
durch die deutschen Truppen im
Mai 1940 wiesen die Besatzungsbehörden schon recht bald alle
Verwaltungsdienststellen, Verbände, Betriebe, Schulen, Kirchen und
Vereine an,
die Juden auf gesonderten Listen zu führen. Da dieser Anordnung
damals in
Holland meistenteils Folge geleistet wurde, wofür sich viele
Holländer heute
noch schämen, war es später kein großes Problem mehr,
die Juden
"aufzuholen", nachdem auf der Wannseekonferenz am 20. 1. 1942 die
"Endlösung der Judenfrage" beschlossen worden war.
Die Juden wurden in das
Lager Westerbork nahe der deutschen
Grenze unweit von Assen gebracht. Dieses Camp war 1939 als zentrales
Flüchtlingslager in einem unwirtlichen Moorgelände
entstanden, um die vielen
Flüchtlinge aus Deutschland unterbringen zu können. Als die
deutschen Truppen
Holland besetzten, wohnten dort etwa 800 deutsche Flüchtlinge, die
illegal die
Grenze nach Holland überschritten hatten, zum größten
Teil Juden. Sie hatten
keine Möglichkeit mehr zur Flucht, obwohl es viele noch
versuchten.
Das Lager wurde von nun an
mit militärischer Disziplin
verwaltet, doch der Kommandant war immer noch ein holländischer
Soldat, der dem
Justizministerium unterstellt war. Verglichen mit den
Konzentrationslagern in
Deutschland ging das Leben dort noch einigermaßen "normal"
vonstatten.
Man durfte zwar das Lager nicht verlassen, es gab wenig zu essen und
die Post
wurde zensiert, aber für die Kinder gab es eine Schule, und die
Erwachsenen
mussten in der Landwirtschaft oder in einem der vielen Lagerdienste
arbeiten,
wie zum Beispiel in der Küche, der Wäscherei, im Krankenhaus,
in der Nähstube
oder in der Tischlerei. In der Freizeit wurden kulturelle Abende
organisiert
und Sprachkurse besucht.
Das änderte sich nach
der Wannseekonferenz. Ab Februar 1942
wurden viele neue Baracken gebaut, und im Juni desselben Jahres
übernahm dann
die SS die Verwaltung. Ein Stacheldrahtzaun und Wachttürme umgaben
jetzt das
Areal. "POLIZEILICHES JUDENDURCHGANGSLAGER" stand in großen
Lettern
über dem Eingangstor. Alle aus Deutschland stammenden Juden in
Holland wurden hier
zusammengezogen, und am 15. Juli 1942 fuhr der erste Zug vollgepfropft
mit
Menschen, direkt aus dem Lager nach Auschwitz.
Auf diese Weise schafften
die deutschen Besatzer die meisten
Juden aus dem besetzten Holland in die Vernichtungslager. Jede Woche
fuhren
zwei Transporte, zuerst nach Auschwitz, ab März 1943 dann nach
Sobibor und ab
September 1943 wieder nach Auschwitz. Dazu kamen ab Januar 1944 auch
noch
Transporte nach Bergen-Belsen und vereinzelt nach Theresienstadt. Die
Lücken,
die die Deportierten hinterließen, wurden durch "Aufholen" der
niederländischen Juden aufgefüllt, bis man glaubte, ein
"judenfreies"
Land zu haben. Der letzte Transport von Westerbork ging am 13.
September 1944
nach Bergen-Belsen.
Da alle Lagerbewohner
registriert wurden und die Listen
heute noch vorhanden sind, kann man die Namen der Deportierten in den
Gedenkboeken der Oorlogsgravenstichting nachlesen. Das Lager ist heute
eine
Gedenkstätte.
Im Band 13 dieser
Gedenkboeken finden wir auch die
Mitglieder der Familie Gumpertz. Helene und Beate wurden schon mit dem
Transport am 28. 9. 1942 zusammen mit 608 weiteren Personen - darunter
auch
Walter Cohen aus der Rhauderwieke - nach Auschwitz deportiert. Sie
starben zwei
Tage später, am 30. 9. 1942. Die Großmutter Bertha Gumpertz
geborene Sander
verstarb noch im Lager Westerbork am 1. April 1943 im Alter von 75
Jahren. Den
neunzigjährigen Großvater Siegesmund Gumpertz schickte man
knapp drei Wochen
später, am 20. April 1943, nach Sobibor, wo er am 23. 4. 1943
umgebracht wurde.
Die Eltern Hermann und
Adele Gumpertz wurden mit dem
Transport am 11. Mai 1943 nach Sobibor verbracht. Während Frau
Adele am 14. Mai
1943 gleich nach der Ankunft in die Gaskammer getrieben wurde, teilte
man
Hermann Gumpertz den Arbeitshäftlingen zu, die für die
Aufrechterhaltung des
Lagerbetriebs zu sorgen hatten. Er kam am 30. 11. 1943 in Dorohusk
(Dorochusk)
zu Tode. Dieser Ort liegt am Bug, etwa 30 km südlich von Sobibor.
Das Lager Sobibor lag in
einem abgeschiedenen Wald- und
Sumpfgebiet im östlichen Polen und nahm im April 1942 den Betrieb
auf. Laut
Thomas T. Blatt, einem der wenigen Überlebenden, war es ein reines
Vernichtungslager, in dem bis zum Oktober 1943 über eine
Viertelmillion
Menschen umgebracht wurden, darunter allein über 34000 aus den
Niederlanden.
Fast alle wurden direkt vom Transportzug durch die
"Himmelfahrtsstraße" in die Gaskammern getrieben. Es gab keine
"Rampe" zur Selektion wie in Auschwitz, nur ab und zu wurden
willkürlich einige Ankömmlinge zurückbehalten, um die
Lücken in der ca. 350
Mann starken Gruppe der Arbeitshäftlinge aufzufüllen, die
für den reibungslosen
Ablauf im Lager vonnöten waren.
Hermann Gumpertz muss auch
solch ein jüdischer
Arbeitshäftling gewesen sein, denn Thomas T. Blatt berichtet u. a.
"Am 7.
Mai traf ein neuer Transport aus Holland ein und wurde über Nacht
abgefertigt.
In einer Ecke neben einem Laternenpfahl bemerkte ich etwa dreißig
neue junge
Leute. Offensichtlich handelte es sich um eine Gruppe, die man direkt
aus dem
Transport herausgesucht hatte, um diejenigen zu ersetzen, die in den
vergangenen Wochen getötet worden waren oder Selbstmord begangen
hatten."
Auf ähnliche Art und Weise ist
höchstwahrscheinlich eine Woche später,
am 14. Mai, auch Hermann Gumpertz aussortiert worden. Es ist
möglich, dass er
in der Lederwerkstatt für die Ausstattung der Lagerleitung
arbeiten musste, da
er ja vom Fach war.
Allen
Arbeitshäftlingen war klar, dass niemand von ihnen
jemals wieder lebend das Lager verlassen würde. Nachdem im
Spätsommer 1943 auf
dem Lagergelände noch neun Bunker errichtet wurden, in denen
Beutemunition von
der sowjetischen Front größtenteils von Frauen unter
strengster Bewachung
sortiert werden musste, beschlossen einige fronterfahrene russische und
polnische Häftlinge, einen Aufstand zu wagen, um dem sicheren Tod
zu
entkommen.
Der Plan wurde sorgfältig vorbereitet und am 14.
Oktober 1943
ausgeführt. Innerhalb einer Stunde lockte man nacheinander zehn
SS-Männer
unauffällig in die Schneiderei und in die Schusterwerkstatt und
tötete sie. Ihr
erstes Opfer war der diensthabende Lagerkommandant von Sobibor,
SS-Untersturmführer
Johann Niemann, der aus Völlen stammte. Ausgerüstet mit den
Waffen der
getöteten SS-Männer stürmten die Häftlinge die
Waffenkammer und überwältigten -
auch mithilfe beiseitegeschaffter Beutemunition - etliche Lagerwachen
und
öffneten das Tor.
Unter den ca. 300
entkommenen Häftlingen hat sich mit
Sicherheit auch Hermann Gumpertz befunden. Einige kamen in dem
Minengürtel zu
Tode, der das Lager umgab; viele wurde im Laufe der nächsten zwei
Wochen in der
Umgebung aufgespürt und erschossen. Laut Thomas T. Blatt waren 100
Soldaten der
Wehrmacht, 100 berittene Polizisten, 150 Ukrainer und SS-Männer
und 500 Mann
der 2. und 3. SS-Kavallerie-Brigade an der Menschenjagd beteiligt. Dazu
kamen
noch Freiwillige, örtliche Polizeieinheiten und Kollaborateure
sowie
Aufklärungsflugzeuge der Luftwaffe. Bis Anfang November hatte man
ein Großteil
der Flüchtlinge aufgegriffen und getötet. Laut Richard Rashke
wurden in den
darauffolgenden Wochen noch etliche wegen der hohen
Kopfgeldprämien, die die
deutschen Besatzungsbehörden ausgesetzt hatten, von der
einheimischen
Bevölkerung verraten. Manche Flüchtlinge überstanden
auch die folgenden
Wintermonate nicht. Insgesamt haben nur 53 der ausgebrochenen Juden von
Sobibor
die Zeit bis zum Kriegsende überlebt.
Da Hermann Gumpertz aus dem
I. Weltkrieg Fronterfahrung
besaß, konnte er sich bis Dorohusk am Bug durchschlagen, wo er
dann
letztendlich am 30. November 1943 doch gefasst und umgebracht wurde.
Mit ihm
zusammen auf der Flucht war höchstwahrscheinlich der Bäcker
Julius Israels aus
Stadskanaal (* 24.11.1908 in Sappemeer), der laut Els Boon und Han
Lettinck
ebenfalls am 30. November 1943 in Dorohusk ums Leben gekommen ist.
Im Vernichtungslager
Sobibor selbst wurden die
zurückgebliebenen Arbeitshäftlinge allesamt erschossen. Das
Lager wurde dann
geschlossen und von auswärtigen Sonderkommandos abgebaut.
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