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Allgemeines Eigentlich ist es noch gar nicht so lange her, dass sich die ersten jüdischen Familien in Rhauderfehn niederließen. Laut einer Mitgliederzählung in allen Synagogengemeinden des Landdrosteibezirks Aurich im Jahre 1871 - anlässlich des neuen Landesarmengesetzes - gab es am 14. 4. 1871 im Amt Stickhausen vierzehn Juden; davon wohnten vier in Westrhauderfehn. Leider lässt sich heute nicht mehr feststellen, ob es sich um eine Familie handelte, oder ob es einzelne Personen waren, die sich hier damals für wenige Jahre niederließen. Wir wissen weder, woher sie kamen, noch wohin sie verzogen. Wir kennen nicht einmal ihre Namen, denn Meldeverzeichnisse aus dieser Zeit sind nicht vorhanden, und auch in den Standesamtsregistern, die es seit 1874 gibt, findet sich kein Eintrag. Die ersten uns namentlich bekannten jüdischen Familien kamen aus Oude Pekela im benachbarten Holland, etwa um 1880, die Familie Bourtanger/ van Pels, die Familie de Levie und die Familie Cohen. Das Untenende, die Rhauderwieke und die unteren Bereiche des Rajen und der 1. Südwieke waren zu jener Zeit gerade dabei, sich von einer gewöhnlichen, ärmlichen Fehnsiedlung mit Moorkolonisten, Muttschiffern und Torfgräbern zu einem Zentrum mit gehobenen Ansprüchen zu entwickeln, denn etliche Schiffseigner und Handwerker hatten es zu solidem Wohlstand gebracht, und kapitalkräftige Kaufleute von auswärts sahen, dass es sich lohnte, hier zu investieren und Geschäfte zu eröffnen. Auch für jüdische Viehhändler mit ihren weitverzweigten geschäftlichen Verbindungen war ein Auskommen durchaus vorhanden, denn viele Fehnkolonate waren schon so weit kultiviert, dass sich ein oder zwei Kühe darauf halten ließen, und auch Kleinvieh wie Schafe, Ziegen und Geflügel gab es reichlich. Da viele Männer beruflich auf See abwesend waren, oblag die Bewirtschaftung der Landstellen gewöhnlich den Frauen, die oft froh waren, wenn ihnen die Modalitäten beim An- und Verkauf vor allem der Jungtiere abgenommen wurden. So gehörten die jüdischen Händler bald zum alltäglichen Leben auf dem Fehn und in den umliegenden Bauerndörfern wie Holte, Rhaude, Collinghorst, Langholt und Burlage. Die Familie Bourtanger/ van Pels zog zwar bald wieder nach Holland zurück, dafür kam aber im Jahre 1910 die Familie Weinberg dazu und nach dem I. Weltkrieg noch die Familie Gumpertz aus dem Rheinland. Sie war mit den de Levies verwandt und eröffnete in deren Haus an der Rhauderwieke einen Fell- und Lederwarengroßhandel. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren hatte die allseitige gedeihliche Zusammenarbeit urplötzlich ein Ende. Die Juden wurden von den neuen Machthabern für alle Unbill der Welt verantwortlich gemacht und mehr und mehr entrechtet. Auch den hiesigen jüdischen Familien wurde nach und nach die bürgerliche und wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen, so dass sie gezwungen waren, ihren Heimatort, das Fehn, zu verlassen in Erwartung einer ungewissen Zukunft. Diese hatte für die meisten von ihnen den gewaltsamen Tod in einem der zahlreichen Konzentrations- und Vernichtungslager vorgesehen. |
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Nachlese Auch nach dem Holocaust war die Geschichte der Juden in Rhauderfehn noch nicht ganz zu Ende. Linda Spieker, früher wohnhaft in Rhaudermoor am Deich in dem Haus des ehemaligen Lohgerbers Antoni, hatte eine Schwester namens Ida Adelheid Seidewitz. Diese konvertierte zum mosaischen Glauben und heiratete im Jahre 1934 den Eisenbahner Josef Drelich aus Insterburg in Ostpreußen. Als Jude durfte er bei den Nationalsozialisten schon bald nicht mehr bei der Reichsbahn arbeiten und wurde entlassen. Was nun? Eigentlich hatte er vor, nach Südamerika ins "Argentinische Jerusalem" auszuwandern, doch aus dem Plan wurde nichts. Das Ehepaar zog daraufhin ins östliche Polen, das heute zur Ukraine gehört. Später gelang es Josef Drelich und Frau Ida, nach England einzureisen. Sie waren dort zwar in Sicherheit vor der Verfolgung der NS-Behörden, ihnen war aber in London ein überaus entbehrungsreiches Leben beschieden. Manche Nacht verbrachte Josef Drelich in den Londoner Docks auf dem kahlen Betonboden, wenn lediglich ein Schlafplatz für seine Frau aufgetrieben werden konnte. In London schloß er sich der Orthodoxen Jüdischen Gemeinde an. Nach dem Krieg besserte sich die Lage nach und nach, doch das Ehepaar lebte weiterhin in sehr bescheidenen Verhältnissen. Josef Drelich starb im Jahre 1980 in London und wurde dort auch beerdigt. Frau Ida kehrte mit seinem Einverständnis nach Deutschland zurück. Bei ihrer Schwester Linda Spieker in Rhaudermoor verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre. Als sie im Jahre 1985 verstarb, legte Frau Linda Wert darauf, daß ihre Schwester in ihrer Nähe auf dem Rhauder Friedhof ihre letzte Ruhestätte finden sollte und nicht ganz auf dem jüdischen Friedhof in Leer. Dem zuständigen Landesrabbiner aus Hannover, der damals noch alle Juden in ganz Niedersachsen zu betreuen hatte, war es zu viel Aufwand, wegen der Beerdigung einer Frau nach Ostfriesland zu reisen. Pastor Bernd Brand von der Kirchengemeinde Rhaude erklärte sich daraufhin bereit, die Beisetzung der Frau Ida Adelheid Drelich geborene Seidewitz in würdiger Form zu begleiten.
Daran erinnert
auf
dem Friedhof in Rhaude folgender Grabstein:
..........................................
:
:
: Ida Adelheid
Drelich
:
: * 23. 12. 1901 + 21. 7.
1985
:
:
:
:
Josef
Drelich
:
: * 8. 2. 1899 + 13. 11.
1980
:
:
:
: in
London
:
--------------------------------------------------------------------- Nachfolgend die Quellen- und
Literaturangaben für alle Texteile
Quellen
und Literatur
Bücher Hermann Adams, Juden in Jhrhove, Ihrhove 2000 Hermann Adams, Eine jüdische Familie in Ihren, Ihrhove 2001 Hans Joachim Albers, Im Zeitenstrom, Bunde-Wymeer 2006 Thomas T. Blatt, Nur die Schatten bleiben, Berlin 2000 E.P.Boon en J.J.M.Lettick, De Joodse gemeenschappen in Hoogezand- Sappemeer, Slochteren, Noord- en Zuidbroek en omliggende dorpen 1724 - 1950, Stadskanaal 2001 Marianne und Reinhard Claudi, Die wir verloren haben, Aurich 1988 Dieter Dreetz und andere, Bewaffnete Kämpfe in Deutschland 1918 - 1923 Militärverlag der DDR 1987 Uwe Eissing, Die jüdische Gemeinde Papenburg-Aschendorf, Papenburg 1987 Lina Gödeken, Rund um die Synagoge in Norden, Aurich 2000 Frank Groeneveld, SPD - Chronik der beiden Ortsvereine Ostrhauderfehn und Idafehn, Idafehn 1996 Israel Gutman, Enzyklopädie des Holocaust, München und Zürich 1995 Menna Hensmann, Dokumentation "Leer 1933 - 1945", Leer 2001 Günther Heuzeroth, Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bürger, der Sinti und Roma im Oldenburger Land und Ostfriesland, Reihe: Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus 1933 - 1945, Band II, Oldenburg 1985 IGS-Aurich, Aus der Geschichte der Auricher Judengemeinde 1592 - 1940, Band 1, Aurich 1975 Joodse begraafplaatzen in groningen en oost-friesland, Band 1, Groningen 1977 Klaus Klattenhoff / Friedrich Wißmann, Lehrer und Schule im Jahre 1933, Reihe: Unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus 1933 - 1945, Band V, Oldenburg 1985 Alfred J. Kolatch, Jüdische Welt verstehen, Wiesbaden 1997 Kreisausschuß des Kreises Leer, Der Kreis Leer, Kiel 1932 Holger Lemmermann, Geschichte der Juden im Alten Amt Meppen, Sögel 1985 Dirk Mulder, Lager Westerbork, Herinneringscentrum Kamp Westerbork Herbert Obenaus (Hrsg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Hannover und Jerusalem o.J. Johann Olthoff, Die jüdischen Familien in Weener, Weener 1979 Ostfreesland - Kalender für Jedermann 1938, Norden 1937 Theodor Prahm, 1938 - 1988 Schicksal einer jüdischen Familie - Zeugenberichte von Karl Polak über sieben Jahre Verfolgung, Leer - Veltheim 1988 Dietmar Preuß, Von den Anfängen jüdischen Lebens in Buer, in: Der Grönegau, Meller Jahrbuch 2005, Band 23, Melle 2004 Richard Rashke, Flucht aus Sobibor, Gerlingen 1998 Herbert Reyer, Aurich im Nationalsozialismus, Aurich 1993 Herbert Reyer / Martin Tielke, FRISIA JUDAICA, Aurich 1991 Johannes Röskamp, Genealogien der jüdischen Gemeinde in Leer / Ostfriesland von ca. 1800 bis 1945, Leer 1984 Johannes Röskamp, Die Friedhöfe der jüdischen Gemeinde in Leer - Am Schleusenweg und Leer - Am Mörken, Leer 1984 Johannes Röskamp, Synagogen - Schulen - Friedhof - Fotos - Varia betreffs der Judengemeinde in Leer von ca. 1630 bis 1940, Leer 1984 Johannes Röskamp, Zur Geschichte der Juden in Leer, Leer 1985 E. Schut, Geschiedenis van de Joodse gemeenschap in de Pekela's 1683 - 1942, Groningen 1991 Fred Schwarz, Züge auf falschem Gleis, Wien 1996 Wilhelmine Siefkes, Erinnerungen, Leer 1979 Staatsarchiv Bremen, Erinnerungsbuch für die als Juden verfolgten Einwohner Bremens, Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen - Heft 37, Bremen 2006 Staatsarchiv Bremen, Es geht tatsächlich nach Minsk - Zur Erinnerung an die Deportation von Bremer Juden am 18. 11. 1941 in das Vernichtungslager Minsk, Kleine Schriften des Staatsarchivs Bremen - Heft 21, 2. Aufl. 2001 Werner Teuber, Jüdische Viehhändler in Ostfriesland und im nördlichen Emsland 1871 - 1942, Cloppenburg 1995 Martin Weinmann, Das nationalsozialistische Lagersystem, Frankfurt am Main 1990 Festschriften Dokumentation über den Besuch jüdischer ehemaliger Mitbürger in Leer, 2. bis 9. Juni 1985 Erinnerungen an den Besuch jüdischer ehemaliger Mitbürgerinnen und Mitbürger vom 11. bis zum 18. Juni 1995 in Leer Woche der Begegnung vom 16. bis 21. August 1987 in Norden 150 Jahre TGG 1849 - 1999, Leer 1999 Vereinschronik des VfB Rajen von der Gründung 22.9.1930 bis zum Vereinsjubiläum 1980 von Heinz Schöning, Rajen Vereinschronik des Vereins TuRa 07: Die ersten 100 Jahre 1907 - 2007 von Wilhelm Luikenga und Michael Till Heinze Zeitschriften und Zeitungen Der Volksbote, Republikanisches Wochenblatt für die Kreise Leer und Weener vom 8. 5. 1928, "Lokales aus Leer und Umgebung" Fehntjer Kurier vom 19. 11. 1987, "Auch die Fehntjer Juden sprachen plattdeutsch" von Michael Till Heinze Fehntjer Kurier vom 10. 11. 1988, "Fehntjer Mitbürger mosaischen Glaubens" von Michael Till Heinze Fehntjer Kurier vom 31. 1. 1996, "Schicksal jüdischer Familie ungeklärt" von Michael Till Heinze Fehntjer Kurier vom 6. 11. 1996 und 13. 11. 1996, "Vergast und verbrannt" von Michael Till Heinze Gemeindebrief der Ev.-Luth. Kirchengemeinden Rhaude und Westrhauderfehn, Oktober / November 2006 General=Anzeiger: Anzeigen vom 16. 8. 1922 / 25. 4. 1924 / 16. 5. 1924 / 11. 6. 1924 General=Anzeiger vom 19. 10. 1933, Anzeige: Amtliche Mitteilung der Gemeinde Rhaudermoor General=Anzeiger vom 5. 2. 1934, Kurzmeldung in der Rubrik "Ostfriesland und Nachbargebiete" General=Anzeiger vom 7. 8. 1982, Sonderseite: 75 Jahre TuRa 07 Westrhauderfehn General=Anzeiger vom 17. 8. 1996, "Weinberg un uns Katte" von Heinrich Reents Beilagen zum General=Anzeiger: Friesische Blätter 1969, Reihe: "Das Rhauderfehn" S.128, Schulfoto Friesische Blätter 1988, Nr. 2, Karte Friesische Blätter 1988, Nr. 9, Schulfoto Grenzlandzeitung "Rheiderland" vom 30. 8. 1988, "Gedenktafel erinnert an die ermordeten Verwandten" Ostfriesen-Zeitung vom 20. 5. 2000, Serie "100 Jahre Fußball" Teil 16: TuRa Westrhauderfehn Ostfriesiche Tageszeitung, Sonderbeilage vom 20. Juli 1935 Internet Ev.-Ref. Kirchengemeinde Oldersum, "Vier Jahrhunderte jüdische Geschichte in Oldersum" von Klaus Euhausen Auskünfte - Akten - Nachschlagewerke - Verzeichnisse Wiltrud Ahlers, Bremen-Blumenthal, Auskunft über Familie Bernhard Weinberg Conrad Philipp Graepel, Steuerbuch von 1892 Conrad Philipp Graepel, Debitoren-Hauptbuch der Firma C.A.I. Hagius Sohn 1893 - 1899 Agathe Helling, Rhauderfehn, Auskunft über die Familien Weinberg und Grünberg Johann Korrelvink, Ostrhauderfehn, Auskunft über die Familien Cohen, Gumpertz und Weinberg Johannes Lücht, Rhauderfehn, Auskunft über die Familien Gumpertz und Weinberg Therese Luikenga, Rhauderfehn, Auskunft über die Familien Cohen, Gumpertz und Weinberg Wilhelm Luikenga, Rhauderfehn, Auskunft über den Sportverein TuRa 07 und die Spielvereinigung von 1920 Dietmar und Edeltraud Preuß, Buer, Auskunft über die Familie Weinberg Linda Spieker und Pastor Bernd Brand, Rhaude, Auskunft über Ida Drelich Albrecht und Frieda Weinberg, USA Maria Werth, Emden, Auskunft über Emder Juden Standesämter Emden, Enschede, Jemgum, Maintal, Melle, Münster, Papenburg, Rhauderfehn, Sögel, Stralsund, Weener Einwohnermeldeamt Rhauderfehn Kirchenbücher der Kirchengemeinde Rhaude Gedenkboeken der Oorlogsgravenstichting des Kamps Westerbork Staatsarchiv Aurich, Rep 32 Nr. 659 und 1862, Rep 15 Nr. 10721, Rep 16/1 Nr. 4412, Rep 16/2 Nr. 1602 Grundbuch von Westrhauderfehn, Band XVIII, Blatt Nr. 680 Schulmuseum Folmhusen Geschichtsverein Emmerich Verzeichnis der Einwohner nach Gemeinden alphabetisch geordnet - Adressbuch für Ostfriesland 1880/81 Adressbuch für die Ortschaften des Kreises Leer, der Kreisstadt Weener und der Ortschaften des Kreises Weener 1910 Adressbuch für die Ortschaften des Kreises Leer, des Fleckens Weener und die Ortschaften des Kreises Weener 1926 Einwohnerbuch der Stadt Leer-Ostfriesland 1926 Einwohnerbuch der Stadt Emden, Ausgabe 1934 Adressbücher der Seehafenstadt Emden von 1956, 1959, 1964 und 1969/70 Öffentlicher Anzeiger zum Amtsblatt der Regierung zu Aurich vom 17. 7. 1926, 12. 11. 1927, 23. 3. 1929 Reichsgesetzblätter von 1935, 1938, 1939, 1940, 1941 Der Grosse Brockhaus, Ausgabe Wiesbaden 1983 ----------------------------------------------------------------------
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Siehe auch Juden in Jhrhove http://www.rhaude.de/umland/ihrhove/juden/index.htm | ||||||||||||||||||
Siehe auch http://jewishgen.org | ||||||||||||||||||
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Vorgedruckte
"Erklärung" von der Post Lübeck aus dem Jahre 1943 (Hinweis
auf Amtsblatt-Verf. Nr.3165) über nichtjüdische Abstammung
"...keine Umstände bekannt ..., daß ich Jude bin. Mir ist
bekannt, daß ich sofortige Entlassung zu gewärtigen habe,
falls diese Erklärung sich als unrichtig erweisen sollte." Pracht.
Ausruf: 100,- DM; Zuschlag: 120,- DM
LosNr. 1972 der 25. Auktion am 8./9. Juni 2001, Potsdamer Philatelistisches Büro |
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