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 “Immerhin begann die Geschichte derStamm-Mutter des Hauses Juda und der Ahnfrau Jesu recht eigenartig.” -– S. 150 in: Ingeborg Kruse, Unter dem Schleier ...

EINE FRAU VERSCHAFFT SICH GERECHTIGKEIT

Tamar muß sich ihr Recht durch eine List erkämpfen

Hedwig Lamberty-Zielinsky (aus: frau u. mutter 6/2000, S.10f; Zeitschrift der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands = kfd)

   “Sie ist mir gegenüber im Recht, weil ich sie meinem Sohn Schela nicht zur Frau gegeben habe", sagt Juda, einer der zwölf Söhne Jakobs, zu seiner  Schwiegertochter Tamar (Genesis 38,26).

Sie ist ihm gegenüber im Recht, hat also das Recht, die ihr zustehende Gerechtigkeit einzufordern. Mehr noch: Der Mann muß ihr als Frau diese Gerechtigkeit  zugestehen. Das ist für das Alte Testament bzw. den Alten Orient ungewöhnlich, denn damals waren Frauen quasi rechtlos. Sie waren Besitz des Mannes: Als Tochter gehörten sie dem Vater, als Ehefrau dem Ehemann. Zwar mußten die Männer für ihre Frauen aufkommen, sie schützen, ernähren, kleiden und insgesamt versorgen. Das brachte den Frauen aber keine Rechte ein, geschweige denn "Gleichberechtigung".

Und doch gibt es irgendwo im Alten Testament den Hinweis, daß eine Frau einem Mann gegenüber im Recht ist. Wörtlich übersetzt heißt es sogar: "Sie ist gerecht (die Gerechte) im Unterschied zu mir." Wer war nun diese Frau? Tamar ("Dattelpalme") heißt sie, und ihre Geschichte steht in der Genesis, dem ersten Buch Mose, in Kapitel 38.

   Die Erzählung ist eingebettet in die Familiengeschichte Judas.  Der hatte eine Kanaanäerin geheiratet, die drei Söhne gebar: Er, Onan und Schela. Als der Erstgeborene Er alt genug war, wählte Juda für ihn eine Frau: amar. Doch Er starb frühzeitig. Warum? "Er mißfiel dem Herrn", heißt es im Text. Wichtig ist: Die Ehe blieb kinderlos, und das war für Tamar eine furchtbare Situation. Ohne Nachkommen war sie als Frau nichts wert und hatte keinerlei Absicherung.

    Doch die Gesetze sorgten dafür, daß eine Frau in einer solchen Lage nicht ohne Schutz blieb. "Schwagerehe" nennt man dieses altisraelitische Rechtsinstitut, durch das gewährleistet wurde, daß der Name eines kinderlos Verstorbenen weiterlebte.

   Dabei ging ein Schwager mit der Witwe zwar keine Ehe ein, zeugte jedoch mit ihr ein Kind, das als rechtmäßiger Nachkomme des Verstorbenen galt  (vgl.Dtn 25,5-10).

   So war denn auch Ers jüngerer Bruder Onan verpflichtet, mit Tamar für einen Nachkommen zu sorgen. Doch Onan war offensichtlich nicht daran interessiert, seinem Bruder Er  Nachkommen zu verschaffen: "Sooft er zur Frau seines Bruders ging, ließ er den Samen zur Erde fallen und verderben", heißt es in Genesis 38, 9. Und weil auch dies "dem Herrn mißfiel", starb Onan.

Nun wäre es eigentlich die Pflicht des jüngsten Sohnes gewesen, die Schwagerehe einzugehen. Doch sein Vater Juda fürchtete wohl, daß auch er sterben könnte. Deshalb schickte er Tamar zu ihrem eigenen Vater zurück und hoffte, sich damit der ganzen Sache entledigt zu haben.

Bis zu diesem Moment wird Tamar als eine Frau geschildert, die alles mit sich machen läßt - alles, was eben damals Gesetz und Ordnung war.  Das war für sie nichts Ungewöhnliches. Als sie aber merkt, daß Juda ihr den Schela vorenthalten will, obwohl der inzwischen erwachsen geworden ist, wird sie selbst aktiv.

   Irgendwann erfährt  sie, daß Judas Frau gestorben ist und Juda von zu Hause aufbricht, um beim Scheren seiner Schafe dabei zu sein. Sie zieht ihre Witwenkleider aus und legt die typische Kleidung einer Dirne an. Natürlich vergißt sie den  Schleier nicht, damit er sie nicht erkennen kann. "Juda sah Tamar und hielt sie für eine Dirne; sie hatte nämlich ihr Gesicht verhüllt." (Gen 38,15) So setzt sie sich an die Straße, an der Juda vorbeikommen muß.

   Als Juda sie sieht und glaubt, eine Dirne vor sich zu haben, geht er zu ihr und sagt: "Laß mich zu dir kommen." Und weiter heißt es in der Genesis: "Er wußte ja nicht, daß  es seine Schwiegertochter war." Tamar verlangt für ihre Dienste zusätzlich zu dem versprochenen Ziegenböckchen ein Pfand als Garantie für ihren Lohn. Juda gibt ihr, was sie fordert: "Deinen Siegelring mit der Schnur und den Stab in deiner Hand." Damit hinterläßt er ihr das, was heutzutage mit dem Personalausweis vergleichbar ist, also etwas, womit er untrüglich identifizierbar ist. Dann geht er zu ihr, und sie wird von ihm schwanger. Sie geht weg, legt ihren Schleier ab und zieht wieder ihre Witwenkleider an. Tamar hat erreicht, was sie wollte, sie ist schwanger von einem Mann aus der Sippe Judas und hat damit für ihr weiteres Leben  gesorgt.

   Wie versprochen schickt Juda das Ziegenböckchen. Doch die Dirne ist nicht mehr auffindbar und niemand weiß etwas über sie.

   Kurze Zeit später erfährt Juda, daß Tamar "Unzucht getrieben" habe und davon schwanger ist. Seine Reaktion darauf ist vielleicht erschreckend, aber für die damalige Zeit überhaupt nicht ungewöhnlich:

   "Führt sie  hinaus! Sie soll verbrannt werden." Als Schwiegervater hat Juda das Recht, Richter über Tamar zu sein und sie sogar zum Tod zu verurteilen. Tamar wartet bis zum letzten Moment, ehe sie ihr Geheimnis lüftet: Juda  selbst ist es, von dem sie schwanger ist - Siegelring, Schnur und Stab beweisen es. Und jetzt muß Juda - in aller Öffentlichkeit zugeben: "Sie ist mir gegenüber im Recht, weil ich sie meinem Sohn Schela nicht zur  Frau gegeben habe." Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Daß Juda später nicht mehr mit Tamar "verkehrte", versteht sich von selbst. Belohnt wird Tamar durch die Geburt zweier Söhne, Perez und Serach. Sie sind die rechtmäßigen Nachkommen ihres verstorbenen Mannes Er. Was hat diese Geschichte mit Gerechtigkeit zu tun? Wird hier nicht etwas Unmoralisches erzählt - von einer Frau, die sich zur Dirne macht und von ihrem Schwiegervater schwanger wird? Lange ist die Geschichte der Tamar nur so gesehen worden. Doch wenn Tamar ihr Recht auch mit List einforderte - sie tat es zu Recht. Es gibt nicht ein einziges Wort in der Erzählung, das sie für ihr Tun verurteilt.

   Weil der Mann, Juda, ihr keine Gerechtigkeit hat widerfahren lassen, obwohl er es für sie als seine Schutzbefohlene hätte tun müssen, sucht sie selbst einen Weg. Die Aktivität, die sie dabei an den Tag legt, ist ungewöhnlich für eine Frau damals. Ihre Geschichte ist damit auch ein Gleichnis dafür, daß sich in allen Zeiten - bis heute - die Machtlosen erst durch List  und auf Umwegen Gerechtigkeit erkämpfen müssen.

   Bei allem, was Tamar tut, bleibt sie dennoch im alttestamentlichen Denk- und Rechtssystem verhaftet. Ihr Handeln zielt lediglich darauf, das zu bekommen, was ihr von Rechts wegen zusteht - nichts darüber hinaus. Sie strebt nicht nach Gleichberechtigung mit dem Mann.

   Tamar, die Gerechte, will einen Nachkommen, damit diese Familie,  dieser Stamm nicht ausstirbt. Und sie erreicht ihr Ziel auf einem Weg, der gerecht genannt wird, und zwar gerade weil sie von einem Mitglied der Familie des Juda schwanger wird. Vorrangig bleibt dabei für Tamar das Wohl  der Familie. So beweist ihre Geschichte erneut, was es im Alten Testament bedeutet, gerecht zu sein: gemeinschaftstreu sein.

 Diese Geschichte ist auch vereinfacht dargestellt bei:

a) Ingeborg Kruse, Unter dem Schleier – ein Lachen. Neue Frauengeschichten aus dem Alten Testament. Zürich-Stuttgart 1986. S. 149ff

b) Ingeborg Kruse, Mirjams Lied. Frauen und Mädchen in den Geschichten der Bibel. Wienn 2000. Seite 41ff

 c) Editha Pröstle, BibelFrauen. Stuttgart 1995. Seite 39 (von Maria Jepsen) & Seite 41f (von Aglaja Beyes-Corleis)